Sehr geehrter…………………….,
ich wähle die unmoderne Anredeform, weil meine Erziehung das Du nur erlaubt, wenn der Ältere es mir anbietet.
Daß Sie der Ältere sind, steht ja wohl außer Frage.
Der fehlende Name in der Anrede ist dem Gebot geschuldet, dass wir Menschen uns kein Bild (und damit auch keinen Ton oder Namen) machen sollen von Ihnen.
Ich bewundere den Mut meiner Mitmenschen, die Sie mit Du anreden und der Ansicht sind, dass Sie Augen und Ohren haben- würden sie sonst um Erhörung bitten oder sich beschweren, dass Sie offenen Auges das Unrecht auf der Welt zulassen?
Sie könnten jetzt natürlich anmerken, dass ein Brief an Sie daher genauso ein Blödsinn ist.
Stimmt, aber er ist gar nicht an Sie gerichtet, sondern an meine Brüder und Schwestern, die an ihren Betplätzen verharrend um Kraft und Hoffnung bitten, und die mit großem Aufwand, Zeremonien und Gesang versuchen, ein wenig von Ihrer Großzügigkeit zu erlangen.
Ich halte das für ziemlich eitel und vermessen. Seit x-tausend Jahren betteln die Leute um göttliche Gnade, Erleuchtung, Unterstützung und sogar um einen Platz im Himmel und tun allerhand dies und jenes, von dem sie glauben bei Ihnen damit Eindruck zu wecken.
Ich glaube dagegen, dass Sie eh machen was Sie wollen und es wenig nutzt, per Ablaßhandlung zu versuchen, Ihre Gunst zu erhalten.
Die Menschen haben aus Ihnen einen Übermenschen gemacht, nach ihrem Idealbild geformt und damit ein Bildnis von Ihnen geschaffen, wovor Sie ausdrücklich gewarnt haben.
Sie haben Sie ausschließlich für ihre eigene Religionsgemeinschaft reserviert, schauen auf Andersgläubige herab und führen weiter Kriege gegeneinander, so als ob Sie nur für Sie da sind.
Das machen sie alles nur, um nicht vor dem jüngsten Gericht schuldig gesprochen zu werden, um nicht in die Hölle zu kommen und um an Ihrer Seite den Engeln beim Harfespielen zuhören zu können.
Sie sündigen, was das Zeug hält und hoffen auf Ihre Vergebung, sie töten, brandschatzen, verstoßen ungehemmt weiter gegen Ihre Handlungsempfehlungen- und glauben mit einer Kerze, einer Wallfahrt, einem Gebet oder einer Spende davon zu kommen.
Ich persönlich lege keinen Wert darauf, dass Sie Ihren Sohn opfern und Ihre Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich bin bereit, für die ganze Scheiße, die ich in meinem Leben angerichtet habe zu büßen, grade zu stehen und die Verantwortung zu übernehmen.
Ich will mich nicht drücken davor, dass es mir nicht gut gelungen ist nach Ihrem Ebenbild zu leben.
Soweit ich weiß, war das Ihr Plan: „…den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen“ heißt es in der Schöpfungsgeschichte.
Ich glaube, dass Sie als oberste Instanz nicht nur für die Christen, Juden und Muslime zuständig sind, sondern für alles und jeden zu jeder Zeit Schöpfer, Ursprung und die Kraft vor dem Nichts sind- unfassbar, unbeschreibbar, unerklärbar.
Daher sehen Sie mir die fehlende Anrede nach und vertrauen Sie mir, dass ich bis zum Ende nach bestem Wissen und Gewissen anständig und frohgemut versuche, meinen Nächsten zu lieben, im Sinne der Schöpfung Pflanzen und Tiere zu ehren und niemandem aus niederen Motiven Schaden zu zu fügen.
Ja, ich will tatsächlich weiter in Ihrem Sinne Ihre „göttlichen Eigenschaften“ in mir und gegenüber den anderen nach Ihrer Blaupause geschaffenen Mitmenschen hegen und lieben.
So verstehe ich mit meinen beschränkten Mitteln den Hinweis auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit- ich liebe mich als einen Teil der Schöpfung und füge den mir gleichen Teilen der gleichen Schöpfung keinen Schaden zu und bin ihnen gegenüber solidarisch (oder zumindest ohne Niedertracht)
Falls es das ist, was in Ihrem Namen in den ganzen alten Religionen erzählt wird, dann gefällt mir das sehr. Das ist wie in einer Gemeinde, einer Gang oder einer Widerstandsbewegung- da hält man zusammen
Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich mich in die Urteilchen auflösen, aus denen ich gekommen bin und vielleicht versteh ich dann, wer Sie sind und wie es mit mir weiter geht.
Bis dahin bleibt mir nichts anderes als mich zu bedanken, dass morgens die Sonne aufgeht, dass ich noch atmen kann und dass ich meine Seele nicht an den Teufel verkauft habe.
Wer weiß, vielleicht verraten Sie mir am Ende Ihren Namen und bieten mir sogar das Du an.
Bis dahin verbleibe ich hochachtungsvoll
Ihr Thomas Brendel
p.s.: ja- ich gebe ja zu, dass meine Worte doch so ein ganz kleines bisschen direkt – (1.verlegenes hm,hm ) an Sie gerichtet sind.
Doch, doch- (2. verlegenes hm, hm) so ganz kann ich mich auch nicht so richtig total an dass 2.Gebot halten (3. verlegenes hm,hm).
Aber ich arbeite dran.