Bärendienst

Andacht 2

Sich um die Seele sorgen vs. für die Seele sorgen

oder

Mitleid vs. Agape

(Mit dem Ausdruck Agape, der häufig im Neuen Testament vorkommt, wird die hingebende Liebe dessen bezeichnet, der ausschließlich das Wohl des Anderen sucht.

Diese Liebe befähigt uns zur Hingabe. Sie fragt nach dem Wohl des Anderen und ist bereit, Opfer für den Anderen zu bringen. )

Ich habe Mitleid mit…….“ wirkt auf mich eher wie eine identitätsstiftende Haltung.

Tatsache ist, dass jemand der Mitleid hat meist zu den Guten gehört

Wer keines hat ist ein kalter Mensch, der keine Seele hat- so sagt man allgemein.

Die Vorteile und Gewinne, die Menschen vom Mitleid anderer haben sind unbestritten.

Über die Nachteile, die dunklen Seiten dieser Tugend ist wenig bekannt, wird wenig geschrieben und recht selten von den mitleidenden Personen reflektiert.

Auch über den sog. „Bärendienst“ gibt es wenige aktuell bekannte Untersuchungen. Man findet ihn in Märchen und Witzen, und Reste davon sind in der Volksweisheit „gut gemeint ist nicht immer gut“ erhalten.

In der alltäglichen Beschäftigung mit Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Empathie bleibt es ein paar ForscherInnen und Kirchenleuten überlassen sich mit der Kehrseite der Medaille zu befassen (z.B Linda Polman, Tanja Singer, Wunibald Müller).

Im Sündenkatalog der christlichen Kirchen wird der Bärendienst nicht explizit erwähnt (evtl. führen die Begriffe Hoffärtigkeit/Eitelkeit auf die Fährte). In den Sozialwissenschaften ist narzisstische Störung oder Helfersyndrom natürlich ein Thema- aber in keinen der genannten Bereiche wird sich dem Mitleid besonders gewidmet (zumindest nicht in den populären und allgemein zugänglichen Beiträgen).

In Entwicklungshilfe und Behindertenpädagogik kann man ein Umdenken erkennen, auch in manchen lösungsorientierten Therapien ist eine Tendenz zur Förderung von Teilhabe statt Stütze festzustellen.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Dilemma „ich will doch nur gut sein“ hilft uns wieder mal der Kant`sche Imperativ- nur das zufügen, was man selbst gerne hat.

Ich will nicht, dass ein fremder Mensch mir die Tür aufmacht ohne zu fragen- besonders dann nicht, wenn ich gerade einen Kurs „Selbstständigkeit im Rollstuhl“ absolviert habe!Ungefragt unterstützt werden- ohne zu wissen, ob und wie ich „leide“ und ohne meine ausdrückliche Bestellung- ist nicht zu meinem Wohl. Diese Haltung hindert mich am selbstbestimmten Sein und Tun.

Vorheriges Anfragen dagegen zeugt von Respekt und echtem Einfühlungsvermögen und Suchbereitschaft nach dem Wohl des Anderen. Ein schwerkranker Mensch, der seine Krankheiten als einen Teil seines Lebens annimmt und sich nicht davon lähmen lässt empfindet Mitleiden als übergriffig. Er leidet einfach nicht so, wie es der Helfer vermutet und fühlt sich unverstanden und wenig wertgeschätzt.

Er spürt, dass es gar nicht um seine Einzigartigkeit, um ihn geht, sondern nicht selten um die Ego-Pflege des Mitleidenden. So kann Mitleid kränken, krankmachen und seelische Schmerzen erzeugen, wenn es einem nur scheinbar Bedürftigen übergestülpt wird. (Ähnlich wirkt auch „progressive coolness“-wie „das wird schon“,“alles gut“, kumpelhaftes “das kenn ich von mir“ oder demonstratives „normal“sein)

Statt erkennender zugewandter Nächstenliebe wird ein oft selbstgefälliges Gutsein zelebriert. Das „ich will doch nur helfen“ schlägt beim „nein,danke“ nicht selten schnell um in empörte Vorwürfe ob der empfundenen Undankbarkeit.

Ungefragtes Mitleid statt von Achtung getragenes Mitgefühl erscheint hier als schön verpacktes Karmageschäft, ein Ablaßhandel, der ich-bezogen eher trennt als verbindet.

Besonders für TherapeutInnen, SeelsorgerInnen und in anderen sozialen Helferberufen Tätige ist es wichtig, die eigene Selbstgefälligkeit und Gefallsucht zu erkennen und einzudämmen…… und wenn es stimmt, dass Sprache und Wortgebrauch Auswirkungen auf Sprecher und Hörer haben, dann wird die Silbe…leid“ zum Programm.

Nicht „ICH weiss, was gut ist“ für den Anderen, sondern die„was brauchst DU?-Hand“ anbieten und für das in der Antwort übermittelte Anliegen auch bereit sein ist wahrhaftig hingebungsvolle Liebe.

Mitleiden können sich Ersthelfer, Chirurgen, Feuerwehrleute, PflegerInnen oder SeelsorgerInnen nicht erlauben- es würde ihre Kraft erschöpfen und sie schließlich selbst krank werden lassen.

In der Geschichte vom Bärendienst wird der schlafende – scheinbar durch eine auf seiner Nase sitzenden Wespe gefährdete Bär von der Helferin durch einen gezielten Steinschlag „vom Leid befreit“. Somit wird das Gegenteil erreicht von dem, was hilfreich gemeint war.

Agape- die durch Liebe befähigte Hingabe, die nach dem Wohl des Anderen fragt und sich selbst opferbereit hintan stellt – Agape, so wie in der Bibel gemeint, ist das nicht.

So bitte ich hier und heute um die Kraft, mich selbst hintan stellen zu können und

um den klaren Geist, der mich demütig zu fragen lehrt, was des Nächsten Wohl wirklich ist-

und verspreche, dass ich meinen Teil dazu beitragen will.

Amen

 

  • Hinweis You Tube: Dau Nchen eingeben und Katamaranprojekt lesen https://www.youtube.com/watch?v=rO67O0VfzhI
  • Auch die Beiträge über den Erhalt des Elwetrittsche-Brauchtums und die Gedichte von Ernst Neudeck im gleichen Kanal sind seelsorgerisch zu verstehen.